Dienstag, 26. Februar 2019

Durch die Wüste

(Für Noemi)

Wenn wir durch die Wüste des Lebens schreiten,
führt uns, bis wir lernen,
unserer eigenen Führung zu vertrauen,
unser Weg nur tiefer und tiefer in die Wüste hinein.

Beginnen wir, ihr zu vertrauen,
wird uns sehr bald schon so etwas wie ein Duft
von Ferne her in der Nase liegen.

Der Nase nach weiter…

Als nächstes erkennt unser Auge dann
in der Wüste erste, zarte Zeichen von Grün,
hier und da ein Blatt, eine Knospe,
bald drauf ein erstes Blühen.

Das weckt den Geist
und stärkt das Vertrauen,
auf dem richtigen Weg zu sein.

Weiter, weiter, immer weiter,
bis wir den Rand der Wüste erreichen
und gewahr werden,
daß um uns herum das schiere Leben blüht,
die Wüste nicht mehr Wüste ist,
sondern eine Oase
oder ein Flußdelta.

Weiter, weiter, immer weiter,
unsere innere Führung wird uns ziehen,
bis wir am Ufer des Flusses angekommen,
am Quell der Oase niederknien.

Kleine Kinder spielen dort,
sie sich gegenseitig naßspritzen
mit jenem Wasser,
sie ausgelassen fröhlich sind.

In ihrem Übermut
spritzen sie nicht nur einander,
sondern auch die Pilger naß,
die gerad’wegs aus der Wüste kommen.

Jetzt, da uns die ersten kühlen Tropfen treffen,
erkennen wir erstmals das wahre Ausmaß
unseres Dursts.

Und jeder Tropfen, der uns trifft,
läßt alte Erinnerungen aufkeimen,
sofort.

Sich von ihnen nicht ablenken zu lassen,
ist das Gebot der Stunde,
sie stattdessen ziehen zu lassen
mit der Kraft jenes Wassers
hinfort.

Es wird Abend,
das Lachen der Kinder verhallt,
sie sind längst daheim,
bei Mutter und Vater,
während wir noch immer am Ufer des Flusses,
der Quelle stehen,
wie einer,
der in seinem Herzen
diese unsagbare Sehnsucht verspürt,
zu fallen, zu fallen, kopfüber zu stürzen.

Wind kommt auf,
mehr und mehr Gischt spritzt uns ins Gesicht,
schon trunken wollen wir eines nur:
stürzen, stürzen, bloß noch stürzen.

Doch längst ist da keine Quelle,
kein Fluß oder Strom mehr –
bloß jenes alldurchfließende Meer.

Und wir,
die wir nicht wissen,
was uns noch hält
und gehalten doch werden
von den zartesten Banden
der Ichheit.

Stillhalten,
weiterhin stillhalten,
weiter und weiter,
und tiefer –
und tiefer vertrauen.

© ts 2018