Donnerstag, 26. Mai 2022

HEIMAT

meine heimat ist dort
wo mein herz liegt begraben

in den wirren der zeit
vergaß ich zu setzen
einen dem toten gedenkenden
stein

so treibt mich tagtäglich
diese schmerzende sehnsucht
so bleibt mir allnächtig
nur diese verlorene trauer

ich wünscht´
ich könnt´ sehen

doch ohne mein herz
ist mir´s
als wär´ ich mit blindheit
geschlagen

ich leide nahezu höllische qualen

gemächlich
flammen züngeln
an den resten
einer verwundeten brust

© ts 1998

Mittwoch, 1. September 2021

Sagarmatha *

(2. Fassung)

Wenn das Eis
um unser Herz herum
einmal für 5 Minuten
beginnt zu tauen,
wähnen wir uns schon
liebestrunken,
von den heiligen Wassern
des großen Meeres
erfüllt.

Wenn unser Geist
einmal sein Gefängnis
für einen kurzen Hofgang
hat verlassen,
glaubt er sogleich,
aller Welt künden zu müssen
von den Segnungen
der Freiheit.

Als ich durchs Tiefland wanderte,
da traf ich auf Menschen,
die mir erzählten
von ihren Abenteuern
auf einem nahegelegenen Hügel.
Sie klangen,
als hätten sie bereits
erklommen
die Stirn des Himmels.

* der nepalesische Name für den Mount Everest,
   was übersetzt ’Stirn des Himmels’ bedeutet.


@ ts 2021
 

Mittwoch, 18. August 2021

WAS VOM TAGE MIR GEBLIEBEN IST

was vom tage mir
geblieben ist
hab´ ich getragen
in die nacht
aug´ in aug´
wir trafen uns
wir haben jede freud´
beweint
und über jeden schmerz
gelacht

was vom tage mir
geblieben ist
hab´ ich dir
preisgegeben
sicherlich
es war nicht viel
verlangt
wir wollten bloß
leben
lieben
liebe
leben

© ts 2000

Mittwoch, 2. Juni 2021

TRUGBILD

die liebe war eine fata morgana,
in der wüste des lebens begegnete ich ihr.
dürstend verfiel ich ihren trügerischen reizen
und schritt unbeirrt auf sie zu.
doch erreichen, erreichen tat ich sie nie.

immer tiefer führte der weg ins verderben.
allein die hoffnung trieb mich tagelang,
das verheißungsvolle ziel stets vor den augen.
nur dem wahn meines fiebers sei dank
für den genuß der kostbar vergeudeten zeit.

irgendwann war an umkehr nicht mehr zu denken.
die sonne forderte bereits den letzten tropfen schweiß.
völlig ausgelaugt hielt ich endlich inne.
die erkenntnis, ein geschenk, schlicht und einfach:
retten mußte ich mich schon selbst.

die innere stimme, wieder erstarkt, bat zum diktat.
der nächste schritt sollte die richtung weisen
und wenige später blühte bereits die ganze wüste.
alle sinne kündeten vom quell des lebens:
ein brunnen, tief und rein, ohne trügerische spiegelungen.

© ts 1997

Dienstag, 1. Juni 2021

NARZIß IX.

nichts als seine
ureigenste angst
bekam der furchtlose
im spiegel des urquells
zu schauen

freifort stürzte
von sinnen
ein zeitliches auge
in namlose tiefen
voraus

wie ohne füße
auch stehen
vor welchem
abgrund

© ts 2004

Sonntag, 16. Mai 2021

Sie träumen mal wieder

Sie träumen mal wieder
schon wieder
vom Neuen Menschen

Ja haben sie denn nicht
noch immer nicht
von diesem Traume
genug
mehr als genug

Wie er wohl ausgehen wird
dieses Mal

Was sollte
und warum
morgen anders
werden

© ts 2021

Samstag, 21. November 2020

Omertà

Und zuweilen kommt es mir vor,
als läge ein Gelübde des Schweigens
auf diesem Land,

ein ungeschriebenes Gesetz,
an das sich alle ängstlich
halten.

Und niemand,
der dieses Schweigen
wagt zu durchbrechen

und aus dem unheiligen Kreis
heraustritt
und schreit:

'Meine Seele,
sie dürstet!'

© ts 2020

Mittwoch, 8. April 2020

EINE MYSTIK DES LEIDENS

was glaubst du
warum ich dir leben gab
ein geschenk
zu begreifen
wünsche
wunschlos zu sein
sei zu dir gnädig
und lasse mich
dich auf dich
auch einmal ein
tauche hinab in die tiefe
bis sich das nahe
im weiten
verliert
und endlich der funke
des kleinen
dir offenbart
meine wirkliche größe

was glaubst du
warum ich dir leben gab
ich bin der abgrund
das sein
der stete sturz
des augenblickes
fasse dich
auf daß du vermagst
mich zu erfassen
wir sind bewegung und ruhe
am anfang und ende
stets
immerzu
eins

was glaubst du
ich bin das licht der welt
werd´ gelassen
ruhig
ganz still
verschließe deine sinne
erst wenn du dich wähnst
gänzlich verlassen
wirst du verstehen
eine wüste ist dein leben
du bist nicht ich
du bist nicht du

was glaubst du
ich schenke dir freude
und leid
und unter schmerzen
mußt auch du einmal sehen
daß ich der vater
all der eingeborenen söhne bin

was glaubst du
weshalb
lieber vergehst du
lustvoll jammernd
in der dunkelheit
verlierst verstand
und freiheit deiner sinne auch
sündige nur weiter
gegen deinen vormals heilen geist
dein denken
dein ganzes allverstehenwollen
haben dich wirklich weit gebracht
vertrieben nur
aus meinem reich

komm´ zurück
zurück zu mir
kehr´ um
da draußen gibt es nichts
nichts wahres
zu erkennen
nur zu offenbaren
lug und trug

was glaubst du nur
warum
mit dem ersten zweifel
mußtest du
aus meiner einfalt fallen
du teiltest unseren einen geist
aus freien stücken
und erschufest so
dir deine sklaverei

komm´ zurück
zurück zu mir
lasse hinter dir jene ideen
sie sind tot
frei von liebe
sie hatten niemals
eig´nes leben

wann wohl
wird dir endlich klar
ich bin der
der
der dich sucht
dein ganzes aufgespartes leben
nimm mich
berühre mich
und laß mich nie mehr wieder los

wann wohl
wird dir endlich klar
daß nur ich
die liebe bin
die einzige alleine wahrheit
einfach und schlicht
mehr
wirklich mehr
gab es nicht
niemals
für dich
zu verstehen

komm´ zurück
zurück zu mir
sei du mein lamm
opfere dich
und lege ganz in meine hand
dein leben
das leben
das ich einst dir gab
laß geschehen
jenen harten schlag ans kreuz
durchleide sämtlich
die uns trennenden welten
deines schmerzes

was glaubst du
warum ich dir leben gab
schreite aufrecht hindurch
durch die flammen des feuers
sterbe endlich deinen letzten tod
denn du kannst nicht auf ewig
die uhr deines lebens zurück
auf fünfvorzwölf stellen

komm´ zurück
zurück zu mir
löse dich
von jenen welten
stirb einmal bewußt den tod
und trete gänzlich frei hindurch
durch meine himmlisch´ pforte
in den anblick des lichtes hinein
und schon wirst du vergessen
all die durchlittenen bilder
des schmerzes

was glaubst du
nur ich bin das leben
nur ich bin die liebe
nur in mir
nur durch mich
besiegst du
den tod

© ts Karfreitag 2000

Samstag, 7. März 2020

ABSCHIED

wissen, daß
nicht wissen, warum
wege voraus
blicke zurück
erinnerungen
verlorene hoffnungen
heimweh auf jedem schritt
wehmut im gepäck

vögel ziehen fort
und kommen wieder
einziger wunsch
mit ihnen zu ziehen
der wiederkehr halber

doch
nichts wird, wie es war

überfüllte züge fahren ein
leere bahnsteige
keine roten teppiche
nur träume

© ts 1997

Feierstunde

Am bequemsten für uns sind und waren
und werden wohl auch künftig sein
die toten Dichter -
jene, die nicht mehr können sich
zum Zeitgeschehen entäußern -
jene, die sich feiern lassen
ohne jedes Widerwort,
das uns die Lust am Feiern
könnt' vergällen.

Am bequemsten für uns sind und waren
und werden wohl auch künftig sein
die toten Dichter -
jene, die ihre Zeitgenossen
nicht verstanden -
jene, mit deren Werken wir uns,
ganz Narren gleich,
das Gesicht tief schwarz geschminkt,
gefahrfrei können schmücken.

Am bequemsten für uns sind und waren
und werden wohl auch künftig sein
die toten Dichter -
jene, aus deren Werken wir
allein die süßen Früchte uns erpicken -
jene, deren Seelenqualen
längst gelebt
uns Heutige nicht vermögen mehr
zu schrecken.

Am liebsten sind und waren uns
und werden wohl auch künftig sein
die toten Dichter -
jene, die an uns nicht länger
leiden müssen -
jene, deren Geist längst
Frieden fand,
die uns mit einem letzten Lächeln gar
entwichen:

Vater, vergib ihnen,
denn sie wissen nicht,
was sie tun.

© ts 2020

Ein kunstlos' Lied zum Hölderlinjahr...

Donnerstag, 5. März 2020

Heimat (Yggdrasil II.)

Welch Sehnsucht:
In Freiheit zu leben
in meines Herzens
Mutterland.

Welch Sehnsucht:
Zu pflanzen
in Vaters Boden
jenen Samen.

Und diesen dann
heranwachsen zu sehen
zu einem kräftigen
Stamm -

dessen Wurzeln tief
in die Erde greifen
und dessen Arme
die Sterne umfassen.

@ ts 2020

Samstag, 15. Februar 2020

Unter Linden

(2. Fassung)

Was ist geschehen?
Wo ist das Land unserer Kindheit geblieben?

War es nicht gestern erst,
als wir unser müdes Haupt betteten sanft?

Nun, da wir erwachen,
unsere Augen erkennen Keinschönerland nicht wieder.

Was ist nur geschehen?
Erinnert wir haben doch Jahr um Jahr.

Und einst gingen Söhne und Töchter sogar
mit Vätern und Müttern vereint auf die Straßen.

Was ist nur geschehen?
Nie wurde unsere Erinnerung sehend.

Und kein Zyklop weit und breit, der es wagt,
der Kaiserin schamlose Pracht zu benennen.

Was noch muß geschehen,
damit wir wieder kommen zu Sinnen?

Auf daß wir uns noch einmal finden
und wieder verbinden -

wohl unter Linden,
zur Abendzeit?

© ts 2020

Sonntag, 9. Februar 2020

Wehret den Anfängen

Gestern noch 
wollten wir alle 
den Anfängen 
wehren -

doch bereits heute 
wir müssen erkennen, 
daß wir längst werden 
allseitig zerrieben -

Es einmal mehr 
längst ist 
zu spät
...

@ ts 2020

Dienstag, 17. Dezember 2019

HEIMAT

unter schreien
gebar mich
das ewige leben
an einem höchst
seltsamen
ort

in einem
auf allen ebenen
äußerst befremdlichen
traume

in einem traume
auf dem
heute wie damals
ein alles erdrückender
fluch
pechschwarz
lastet

doch dieses
mein (n)irgendwo
trägt zugleich
einen sondersam
wund'vollen
namen

der mit seinem
magischen klang
mein herz
weiß
zu rufen

ist es die schuld
des zauberspruches
wenn der zauberlehrling
ob der ihm
innewohnenden
finsternis
mit ihm nur
dunkle geister
vermag
zu beschwören

???

ich trage licht
in mir

mir ist dieser
dein zauber
heimat
mutter

und noch immer
wünscht sich
mein herz
unbeschwert
frei
von der liebe
zu dir
und seiner sehnsucht
nach dir
zu künden

@ ts 2019

Mittwoch, 11. Dezember 2019

Die Welt von Morgen

Mit großen Schritten
wir schreiten
voran

und schreiben
mit uralten Lettern
blutrot

Worte
der Hoffnung
auf unsere Fahnen

Was sollte und warum
morgen anders
werden

@ ts 2019

Verschwörung

Auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt,
so glaube ich nicht an eine Alternative.

Schon viele haben das Blaue vom Himmel
auf diesen so wund'vollen Planeten
heruntergelogen.

Ein jeder Kampf, zu dem wir uns
im Folgenden werden entschließen,
wird nur in die Höhe treiben
den später zu entrichtenden
Tribut.

Nein,
ich glaube nicht an eine Alternative,
auch wenn meine Hoffnung
ist längst noch nicht tot.

Ich wünschte, wir hätten
schon heute die Kraft
uns zu verschwören
zu einer letzten
bedingungslosen
Kapitulation.

© ts 2019

Freitag, 1. November 2019

Glanz der Stille

Und ich löste den Blick
von dieser Erde
und wandte ihn
den allernächsten
Sternen
zu

Noch immer
das innere Auge
geblendet
von dem Dunkel
des täglichen
Anscheins

Doch 'mählich
allmählich
auch das träg'ste Herz
lernt
den Glanz der Stille
zu sehen

© ts 2019

Mittwoch, 7. August 2019

Rot

Niemand sagte,
Du hättest einen Rosengarten
uns versprochen.

Wie bunt und duftend
doch der Sinnwald
blüht!

Oft ins zarte Fleisch
uns werden stechen noch
die bösen Dornen.

© ts 2003

FREMDER

an einem späten morgen
ging ein fremder
lachend
an mir vorüber

ich neidete ihm
sein lachen

ist es nicht schamlos
sich vor den toren
der hölle
so sehr zu freuen

an einem späten mittag
traf ich ihn wieder
er
immer noch lachend

ich platzte beinahe
vor wut

ist es nicht gottlos
sich unter den augen
des herrn
so sehr zu vergessen

an einem frühen abend
machte ich ihm
samt
seiner lächerlichkeit
einen kurzen prozeß

ist es nicht ruhmreich
sich für das ewig wahre
und rechte
so sehr zu ereifern

in einer dunklen nacht
war es wieder ruhig
in der stadt

kein lachen störte mehr
mein leises wimmern
und weinen
schon gar kein fremder
meine ernsthafte suche
nach glück

© ts 1998

SCHIFFBRUCH

dürstend
wind und wetter
ausgesetzt
haut
sonnenvernarbt
wochenlang
kein land
in sicht
treibgut des lebens

letztes hemd
hilflos
wie eine weiße flagge
gehißt
hin und wieder
kreuzen
große schiffe
horizont
sehnsucht
hafen
versprechend

herzklopfen
jedes mal
schreien
rufen
winken
bekanntlich
zwecklos

haie
belächeln
bereits
lächerlichkeit
nächster sturm
bringt

morsches floß
zum bersten
tierische ungeduld
hat gelernt
zu warten

allein zeit
kann hunger
stillen

© ts 1998

Freitag, 2. August 2019

Herzheidelbergverloren II.

(3. Fassung)

I.

Auf der Terrasse
hochgewölbtem Bogen
war eine Zeit
mein Kommen
und mein Flehen.

Chiffren,
tief in diesen Traum
gewoben -
wer sehen kann,
der bleibt,
um sie zu lesen,
an jeder Straßenecke,
mit kindlich großen
Wunderaugen
stehen.


II.

Alt Heidelberg, Du feine,
in Deines Märchens Bann
gezogen
gibt's für den Wanderer
nicht mehr ein
Weiterziehen.

Mit Zauberhand
Du sanft gebietest,
innezuhalten,
einzukehren
und zu lauschen
Gottes hebend' Liede
fort und für.


III.

Als schlafend' Menschenkind
kam auch ich dereinst
gewandelt
zu Dir.

Und nie
hat Dein Blick
mich noch
getrogen.

Und so sitz' ich heut'
wie alle Zeit,
von Deinem Geist geküßt,
der Heimat nahe -

das Herz verloren zwar
und doch gestillt,
ganz tief gestillt,
von Deiner mütterlichen
Brust.

© ts 2019

Donnerstag, 25. Juli 2019

Abendmahl II.

Jede Zeile,
die ich schrieb,
sie ist wahr,
weil mit Herzblut
geschrieben.

Erst als mein Innerstes
vertrocknet war,
tränktest Du mich
mit Wassern
aus goldenem Kelche.

Ungezählte Leben lang
hab´ ich nach Dir
gedürstet.

Jedes Wort,
das ich sprach,
es war recht,
denn Wort um Wort
ich sprach Dir
von meinem Gotteshunger.

Erst als mir der lichte Leib
vom Fleische fiel,
tat Dein blaues Sternenbrot
mich nähren.

© ts 2003

Sonntag, 9. Juni 2019

Pfingsten

Großzügig
Du schüttetest Geist
über eine dürstende
Welt

Grenzenlos ́ Heil
tatst Du uns
versprechen

Doch unsere Sinne
sie waren nicht
rein

Trunken wir
randvolle Gläser [mit
zitternden Händen]
himmelwärts
streckten

© ts 2003 

Freitag, 26. April 2019

Weil wir auch das sind...

Weil wir auch das sind,
was wir verloren


Alejandro Gonzáles Iñárritu

_______________________

Weil wir auch das sind,
was wir verloren

Gott,
die Frucht der Liebe
unter dem Herzen der Mutter,
die Unschuld der Kindheit,
das leichte erste, große Glück,
all die schmerzlichen Lieben, die folgten,
das bange Wachen in einsamster Nacht

Weil wir auch das sind,
was wir verloren

Der Bruder, die Schwester,
das jüngste, niemals geborene Kind

Die verblichene Hoffnung,
das Verblassen der kühnsten Träume,
all das, was nicht mehr mit uns war,
als wir erwachten in diesem Hier

Weil wir auch das sind,
was wir verloren

Die Zunge, die nicht mehr singt,
der Stift, der nicht mehr schreibt,
der Mund, der nicht mehr küssen darf,
die Hand, die die Schenkel der Geliebten
nicht mehr vermag zu berühren,
das Auge, aus dem gewichen
der Widerschein des gütigsten Lichts

Weil wir auch das sind,
was wir verloren

Und dennoch hält uns in Atem
das Herz eines Lebens

© ts 2008

Samstag, 30. März 2019

Ein Gleichnis

Seit Jahren laufe ich
durch dunkle Höhlengänge.

An den Wänden Schatten –
bloß vom Fackelschein.

© ts 2003

Donnerstag, 28. März 2019

Wald

Wie Bäume wollen wir 
zueinander stehen.

Der Welt könnten wir 
Atem dann schenken – 

und wir dürften endlich 
wieder Wald sein.

© ts 2003

Montag, 25. März 2019

NARZIß II.

und
der
schöne
jüngling blickte
in
das
spiegelnde
wasser
des
sees
und
fragte

wer bin ich

wellen
des
lachens
durchfluteten
den
see

wer will das wissen

© ts 1998

NARZIß I.

wer bin ich
eine frage martert
jede windung des hirns

narziß sitzt tief gebückt
verloren
über der spiegelnden fläche des teiches

dunkel die ahnung
ihr sitz ist die tiefe

schönheit von außen betrachtet
nur blendet

verzückung lindert bekanntlich
jedweden schmerz

doch groß ist die sehnsucht zu fallen
hinab in die tiefen zu tauchen

die gier nach erkenntnis
mag sie nicht stillen
zumal
was ich schon weiß
würd´ ich lieber nicht wissen
so bin ich
weil das

und
ist die betrachtung erst wirklich
vollzogen
geraten zunächst
scheinbar gleiche gewichte
mächtig ins wanken

ein ertrunkener freund
wüßt´ mehr zu berichten

welcher quelle entspringen
die wogen der zeit

© ts 1998

Sonntag, 17. März 2019

HEIMAT

meine heimat ist dort
wo mein herz liegt begraben

in den wirren der zeit
vergaß ich zu setzen
einen dem toten gedenkenden
stein

so treibt mich tagtäglich
diese schmerzende sehnsucht
so bleibt mir allnächtig
nur diese verlorene trauer

ich wünscht´
ich könnt´ sehen

doch ohne mein herz
ist mir´s
als wär´ ich mit blindheit
geschlagen

ich leide nahezu höllische
qualen

gemächlich
flammen züngeln
an den resten
einer verwundeten brust

@ ts 1998

Mittwoch, 6. März 2019

WENN ICH TOT BIN

wirst du mich wecken
wenn ich tot bin

leise
ganz leise

mit der zunge am ohr
der geborgten

und
worte sprechen

die mein taubes herz
niemals sah

@ ts 2001

EIN LIEBES LIED

ich werde fortgehen
fort fort
hinüber ins dasein

die koffer sind schon gepackt
sie stehen bereits draußen
im regen
und lachen

über den schmerz
der mein sterben
so viele jahre beherrschte

nun gehe ich fort

kein paß ist beantragt
die grenzen gefallen
ein visum braucht heute
kein träumer mehr

ich werde fortgehen
der sonne entgegen
ihre tränen zu schützen

warm tränken
das auge
mein herz

ich werde fortgehen
bald ist es soweit
muß nur noch eintragen
das anbefohlene zeichen
ins buch der zeit

dort hinterlassen
den namen
den wahren
nicht den
nach dem ihr mich benanntet

bald bald
bald
bald bin ich fort

© ts 2001

Dienstag, 5. März 2019

METAMORPHOSE

zwei schmetterlinge
ihr lieben
ein spiel
mit den lüften

getragen
von blüte
zu blüte
sich labend
am nektar
am tau

einstmals
der wunsch
den sie bargen
in ihren herzen
fraß
ganze landstriche
kahl

zwei schmetterlinge
ihr lieben
ein tanz
mit dem ewig jungen 

des morgen

ihr gestern
verbrannt
und
vergessen

das wunder
vollbracht

© ts 2019

DER KUCKUCK

guck guck
guck guck
ruft´s aus dem wald

verwirrt und verzückt
laufen wir geschwind
in ihn hinein
um uns dann alsbald
ein besonders großes ei
zu kaufen

© ts 1999

MEER (I.)

nun sitze ich hier
an den gestaden der zeit
und weine der träne nach dir
die du mir gestern noch lieb warst

wo gingst du hin
als du fort warst
des zumirkommens müde

dunkel umspülen wellen
burgen im sand
reißen einmal mehr
traumschlösser nieder

© ts 1999

MEER (II.)

rauschend lachend
flüstert das meer

übergib all dein leid
deine schmerzen
ruhig mir

tauche sanft sorglos
hinab
in die tiefe

© ts 1999

Montag, 4. März 2019

Himmelwärts

Ich lief über
schwankenden Grund
erst als mein banger Schritt 

brach und ich stürzte
erblickte ich
himmelwärts
erstmals
die Sterne
 

Wie willst Du
das Aufstehen
lernen
wenn nie am Boden

Du lagst

© ts 2003

Narziß VIII.

Warum nur halte ich mich
von den Tiefen Deiner Quelle
fern?

Ja, schau´ ich denn lieber
mit offenen Augen
ein verschwommenes Antlitz,
als mit geschlossenen Lidern
– trunken vor Abgrund –
ins Sehen zu fallen?

Dies ist meine Welt.
Ist es noch zu nennen
selbstverliebt,
wie ich mich halte
krampfhaft fest
an meinen

Projektionen?

Und ein Quellgeist
mir flüstert:
Komm´ d(D)ichter,
fortweg vom Rande,
Du Narr!


© ts 2003

Sonntag, 3. März 2019

SCHIFFBRUCH I.

auf den wassern des lebens
tanzten wir
als der große seel´sturm kam
uns nahm das schiff
und unsere ´trunkenen geister
trieb

in oceanos arme



schiffbruch



in die tiefen des todes

sanken wir

wir träumten von nixen

und fischen

der unendlichkeit

des lichten sternenmeers

dem dunklen anbeginn

der zeiten

@ ts 2003

SCHIFFBRUCH II.

welch welle uns spülte
an die küste
dieses verlorenen lands

unter schreien gebar uns

das ewige leben
mal wieder
 

schiffbruch

gestrandetes licht

verglühend
im zeitlichen

sand

@ ts 2003

DEINE HAND

ich weiß, daß
in die liebe fällt
man hinein

bar aller angst
herzfrei und
kopfüber

deine feuchten blicke
sie schmecken
nach meer

wenn du mir
deine hand reichst
werden wir fallen

© ts 2003

Der Narr der Frösche II.

Blinder, Du,
der Du von der Liebe
nicht erkannt werden wolltest,
der Du nicht sahst
ihr alles verzehrendes Glühen

Narr,
der Du ihr Lächeln
zu einer von Trauer entstellten
Grimasse gerinnen ließest,
anstatt es zu küssen
sonderszart

Frosch.
der Du stets quaktes,
quaktes,
quaktes

Unerlöster Prinz

© ts 2008

Dienstag, 26. Februar 2019

Weg unser

Himmlischer Weg,
Du heilst alle Namen,
Dein Reich ist nahe.

Befreit von Eigenwillen
verschwimmen die Grenzen
zwischen oben und unten.

Von Dir empfängt unsere Seele
all ihre Nahrung.

Dein Licht löst alle Fesseln
und schenkt uns die Kraft
zur Vergebung.

Du führst uns in jeder Versuchung
und erleuchtest selbst den dunkelsten Pfad.

Denn Du bist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
für jetzt und alle Zeit.

@ ts 2017

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Verwirklichung

Ich bin auch so einer,
der sich sehr gerne in Worten,
in Philosophien
und Denkschulen
verliert.

Und manchmal denke ich,
daß erst auf dem Sterbebett
mich überkommen wird
dieses unsterbliche Lachen,
ein Moment des Erkennens,
wie mühelos Verwirklichung
gewesen doch wäre.

© ts 2017

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Querung des Flusses (2. Fassung)

Bei dem Versuch,
einen Fluß zu überqueren,
wäre Siddhartha Gautama
beinahe ertrunken.

Völlig erschöpft,
den Fluten entronnen,
fragte er sich:
Wie jemals das große
'Nichtswa(h)rmeer' erreichen,
wenn schon unmöglich zu queren
dies’ irdische Rinnsal.

Und er erkannte:
Keine Brücke,
keine Furt,
nicht ein Weg,
kein Tun,
kein Verlangen
würde ihn führen
hinüber.

Unter einem nahgelegenen Baum
setzte er sich nieder,
endlich bereit zu ertrinken,
zu entsinken
auf den Grund aller Gründe
hinab.

© ts 2017

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ENTWUNDERUNG

durchgangsstraßen
durchgangsstraßen & laternenmasten

laternenmasten
laternenmasten & feminist*innen

durchgangsstraßen
durchgangsstraßen & feminist*innen

durchgangsstraßen & laternenmasten & feminist*innen &
ein entwunderter 

Nach Studenten-Protesten gegen ein Gedicht von Eugen Gomringer ließ die Alice Salomon Hochschule in Berlin-Hellersdorf eine Fassade neu gestalten. – Vorwurf: klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind. – Kurz: Sexismus. 

© ts 2017
Quelle: David von Becker

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don juan

(für m.)

ich hörte von einem mann,
der worte so wundervoll
zum klingen bringen konnte,
daß herzen sich ihm öffneten,
sobald er sie ansprach.

und wenn er still ruhte
neben ihnen,
erblühten sie
in ihrem wesen
ganz.

die einen sagten,
er würde die armen
verführen.

andere,
daß er ihre lippen
beschenken würde
mit der sterne
gesang.

© ts 2018

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Only Lovers left alive

Ich hörte von Paaren,
die einander so wundervoll
zum Klingen bringen konnten,
daß ihre Herzen sich öffneten,
sobald nur ihre Blicke
miteinander sprachen.

Und wenn sie
in der Stille ruhten,
eng umschlungen,
bei einander,
erblühten sie
zu einem Wesen.

Und wenn sie einander küßten
- Oh, welch Odem liegt in solchen Küssen! -
tropfte von ihren Lippen
der Sterne Gesang.

© ts 2018

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Der 17. Juni

oder
 
Zum Tage samt all seiner Zeichen
einer äußerst deutschlichen Ungeeintheit*

70 Jahre nach Kriegsende,
der Auferstehung aus Ruinen,
legte sich eine große Selbstverdrossenheit
über das Land der Dichter und Denker,
das Land der Richter und Henker,
das Land der Zweifler und Entzweiten,
der viel zu wenig nur Liebenden,
der bevorzugt sich selber und andere
Hassenden.

Und gerad’ als das Land mal wieder dabei war,
in den tiefsten Schichten seines Unbewußten zu graben,
sich an seinem mangelnden Selbstbewußtsein zu laben,
flüsterte ihm plötzlich eine verführerische Stimme ins Ohr:

'Deutschland, Deutschland,
möchtest Du sterben?'

Das Angebot war verlockend,
doch Deutschland spürte in sich hinein
und stellte fest,
daß all das,
was ihm dereinst war verheißen,
doch noch gar nicht so recht
ans Licht gekommen war.

Und die Stimme drang tiefer in es ein:

'Deutschland, Deutschland,
wünschst Du Dir Deinen Tod
oder möchtest Du Dich verjüngen?’

Deutschland war schockiert,
Deutschland wußte gar nicht,
daß es die Wahl hatte.

'Doch Du hast sie.

Zu Deinem Tod führt der geradezu panische Versuch
Deines Volkskörpers, ziel- und planlos zu wachsen.

Verjüngung entsteht,
wenn Du Dich entscheidest,
den tieferen Plan Deiner Evolution
zu aktivieren.

Solange Du bereit bist,
Deiner höheren Bestimmung zu folgen,
wird die Tendenz zum Volkstod
in die Tendenz
zu einer neuen Volksblüte
umgewandelt.

Dein Tod kommt,
wenn Du Dich entscheidest,
dies jedoch nicht mehr zu tun.

Deutschland, Deutschland,
Du wirst nur so lange leben,
wie Du auch schöpferisch bist.

Deutschland, Deutschland,
- so oder so -
Deine Krisenjahre werden Dich führen
zu einer Metamorphose.’

* Zuweilen sind auch Dichter anlehnungsbedürftig,
lehnen sie sich ein wenig an an entliehene Worte
und Gedanken. – Das kleine deutsche Selbstgespräch
ist entliehen einem Zitat von Barbara Marx Hubbard
(wer auch immer diese Dame sein mag) und ihrem Buch
’Vom Ego zur Essenz’


© ts 2018

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Buddham saranam gacchami

Ich lasse ab von einem jeden Kampf
und lege Dir,
von dem ich nicht weiß,
wer Du bist,
von dem ich nur sehe,
wie Du mich
und alles Seiende
so mühelos trägst
und nährst
und liebst,
meinen Geist
in Deine gütigen Hände.

Verfahre mit mir
wie Du beliebst
und nicht,
wie ich in meinem Geschlagensein,
meiner Blindheit,
mir dies wünsche.

Ich lasse ab von einem jeden Kampf
und nenne Dich,
von dem ich nichts weiß
und nichts wissen kann,
vertrauensvoll ‘Herr’,
beseelt von dem Wunsch,
daß Du mir mehr sein wirst,
als ein Vater es
je könnte.

Ich lasse ab und bereue
einen jeden noch so kleinen Kampf,
den ich in Deinem Garten
je geführt –

Nein,
ich suche keine Zuflucht in Dir,
vielmehr verhält es sich so,
daß ich strecke vor Dir
all meine Waffen.

Endlich bereit
zur letzten großen Kapitulation.
Bedingungslos ergeben.

Bereit, von Dir getilgt
und gänzlich ausgelöscht
zu werden.

Und ich weiß, Herr,
noch bin ich ein Ich
und Deiner kaum würdig.

Doch ich lausche, Herr,
ich lausche immerzu,
und allein dies schon
läßt meine Seele gesunden.

Buddham saranam gacchami.
Dhammam saranam gacchami.
Sangham saranam gacchami.

Mein Ich zu Deinen Füßen, Herr.
Mit der Stirne küssend den Weg,
auf dem das Leben fest gegründet.

Umfangen, gehalten,
von den Armen, den Herzen,
all meiner Schwestern
und Brüder.

© ts 2018

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Free Heimat!

Home is not a place
it’s a state of mind

If you know to get it,
you get it everywhere

if not
you feel homeless
even at home

@ ts 2018

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Durch die Wüste

(Für Noemi)

Wenn wir durch die Wüste des Lebens schreiten,
führt uns, bis wir lernen,
unserer eigenen Führung zu vertrauen,
unser Weg nur tiefer und tiefer in die Wüste hinein.

Beginnen wir, ihr zu vertrauen,
wird uns sehr bald schon so etwas wie ein Duft
von Ferne her in der Nase liegen.

Der Nase nach weiter…

Als nächstes erkennt unser Auge dann
in der Wüste erste, zarte Zeichen von Grün,
hier und da ein Blatt, eine Knospe,
bald drauf ein erstes Blühen.

Das weckt den Geist
und stärkt das Vertrauen,
auf dem richtigen Weg zu sein.

Weiter, weiter, immer weiter,
bis wir den Rand der Wüste erreichen
und gewahr werden,
daß um uns herum das schiere Leben blüht,
die Wüste nicht mehr Wüste ist,
sondern eine Oase
oder ein Flußdelta.

Weiter, weiter, immer weiter,
unsere innere Führung wird uns ziehen,
bis wir am Ufer des Flusses angekommen,
am Quell der Oase niederknien.

Kleine Kinder spielen dort,
sie sich gegenseitig naßspritzen
mit jenem Wasser,
sie ausgelassen fröhlich sind.

In ihrem Übermut
spritzen sie nicht nur einander,
sondern auch die Pilger naß,
die gerad’wegs aus der Wüste kommen.

Jetzt, da uns die ersten kühlen Tropfen treffen,
erkennen wir erstmals das wahre Ausmaß
unseres Dursts.

Und jeder Tropfen, der uns trifft,
läßt alte Erinnerungen aufkeimen,
sofort.

Sich von ihnen nicht ablenken zu lassen,
ist das Gebot der Stunde,
sie stattdessen ziehen zu lassen
mit der Kraft jenes Wassers
hinfort.

Es wird Abend,
das Lachen der Kinder verhallt,
sie sind längst daheim,
bei Mutter und Vater,
während wir noch immer am Ufer des Flusses,
der Quelle stehen,
wie einer,
der in seinem Herzen
diese unsagbare Sehnsucht verspürt,
zu fallen, zu fallen, kopfüber zu stürzen.

Wind kommt auf,
mehr und mehr Gischt spritzt uns ins Gesicht,
schon trunken wollen wir eines nur:
stürzen, stürzen, bloß noch stürzen.

Doch längst ist da keine Quelle,
kein Fluß oder Strom mehr –
bloß jenes alldurchfließende Meer.

Und wir,
die wir nicht wissen,
was uns noch hält
und gehalten doch werden
von den zartesten Banden
der Ichheit.

Stillhalten,
weiterhin stillhalten,
weiter und weiter,
und tiefer –
und tiefer vertrauen.

© ts 2018

Königskinder

Königskinder
suchen Königswege.

Auch wenn sie fallen,
in Dunkelheit fallen,
so streben sie wieder
-wieder und wieder-
ihrer Natur folgend
zum Licht.

@ ts 2018

Mu

Und schon wieder lacht
Bodhidharma:

All Deine Fragen
sind ja kaum
weniger töricht
als die des Kaisers
Wu.

In der offenen Weite
nicht nur Nichts
von Heilig,
sondern auch
von Unheilig,
ebenso.

Vereinige
Dein Objekt
und Dein Subjekt,
vergiß die Ichheit,
sei einfach nur
Mu.

@ ts 2018

ZWEI FREMDE II.

(für d.)

zwei fremde
und ein geständnis
in ihren herzen irgendwo
verschüttet
eine erinnerung
wie es sein könnte
zu leben
von all diesen fesseln
befreit

sie sagte
ich möchte
alles geben
der welt
er fragte zurück
hast du denn schon
in dir
dieses alles
geschaut

zwei fremde
noch nicht wissend
wie sehr sie
im herzen
des einen
miteinander
verschwistert

gott allein weiß
ob sie es werden
jemals
erfahren

und ob sie
wenn sie es sehen
sich dann auch
getrauen
einander
in die augen
zu blicken

© ts 2019

Am Horizonte zieht auf...

Am Horizonte
zieht auf
eine merkwürdige
Zeit;

schon die Späher
laufen davon
blaß,
so bleich
und ganz erfüllt
vom Schrecken.

Noch ahnen wir nicht,
was sie gesehen.

Noch treiben wir
klaglos,
nahezu klaglos,
tagein,
tagaus
unser Spiel.

Noch marschieren wir
nicht.

Noch fehlt uns
das Rüstzeug.

Doch hier und da
brodelt's:

Es geht die Kunde,
unweit der Grenze
seien Standarten
zu sehen,
zu zählen
Legionen.

Die Stille trügt.

Ganz plötzlich
losbricht
ein Sturm.

Der Tag sich
verdunkelt.

Schon bebt die Erde,
sind jene Posaunen
zu hören -

Nun erst
ergeht der Befehl,
die Tore
zu schließen.

Zu spät.

Auf meiner Flucht
ich stolpere
über ein sterbendes
Kind -

sein ganzes Angesicht
lächelt,

in seinen Augen
stehen Tränen.

Ich falle.

Es ergreift
meine Hand:

'Hab keine Angst,
hab keine Angst,
es ist doch nur
die Rückkehr
des Königs!'

© ts 2009 


Donnerstag, 8. November 2018

Hundert verschlafene Jahre

Nicht,
daß es nichts zu sagen
gäbe.

Nicht,
daß nach all den Jahren des Schweigens,
der innere Himmel nicht wieder Worte
regnen ließe.

Es ist nur,
noch sie finden nur zu Papier -
noch sie finden nicht ihren Weg hierher,
in die unendlichen Weiten
des Netzes.

Noch.
Noch schläft Dornröschen.

Und träumt,
daß dereinst sie jemand
wachküßt.

Sonntag, 4. September 2005

Paradies

In meinem nächsten Leben
werde ich mir eine Erde erträumen,
die liegt dem Herz der Sonnen
ganz nah.

Sie wird zu allen Jahreszeiten
grün sein. Blaue Flüsse
sie durchrauschen.
Und tags sind ihre Lüfte
allzeit warm.

Nackt werde ich auf ihr
weglose Wege beschreiten,
Felder, Wälder und Wiesen
durchstreifen.
Ich glaube nicht,
daß in ihrer frohen Fülle
mich jemals wieder bös´
der Hunger plagt.

Ihre Berge werden hoch sein,
schneebedeckte Gipfel
bis weit in die Himmel
´neinreichen.
Oft werde ich
auf weißen Dächern
stehen, den Göttern
ganz nah.

Und nachts – nachts,
wenn ihre Tagessonn´
gefallen ist,
längst ´schwommen fort
mit jenem roten Wolkenmeer,
dann werde ich mich
in die Arme der Liebsten
begeben,
mit ihr zusammen Stern-
schnuppen zählen
und das Leuchten des Mondes
still schauen.

Mit brennendem Herzen
werde ich wachen
bis jüngst ein neuer Tag
anbricht.

Vom Feuer umlagert
werde ich sitzen
mit all meinen Träumen
zusammen und ihnen
gar lachend
Geschichten erzählen,
von einem längst
vergangenen Leben,
in dem Mutter Erde
dem Herz der Sonnen
viel ferner oft war.

© ts 2003

Manchmal

Manchmal möchte ich fliegen,
jetzt und hier und weit,
den unendlichen Horizonten
entgegen, meine Flügel ausbreiten
himmelweit.

Manchmal möchte ich träumen
den Traum, mit dem alles Leben
beginnt.

Manchmal möchte ich leben
das Sein, in dem ein jedes End´
sein letztes Ende
find´.

Manchmal – ja, manchmal,
da möchte ich auch los
all´ Schwere sein
und schweben im Raum
zwischen den Sternen
ganz frei.

Und singen
mit meinem Herzen
von Dir nur
hell und klar
und rein.

© ts 2003 

Gedicht V.

Mit dem Herz
in der Hand
führte meine Zunge
den Stift

Blaßblaue Schrift

Wort um Wort
tat ein Blatt
weißes Papier
den Verlust
seiner Unschuld
bestaunen

© ts 2003  

Die drei Wünsche

Eines Nachts
ward eine Fee mir
begegnet.
Ich traf sie
dort draußen
im Sternenland.

Sie sagte,
was Feen so sagen;
ich mir wünschte,
daß sie mir ließe
auf immer
einen letzten Wunsch
frei.

Funken sprühten,
als sie ihren Zauberstab
ein erstes Mal schwang.

Dann sagte ich:
Und wunschlos,
wunschlos
möchte ich sein.

Dieses Leben,
welch eine Erfüllung.

© ts 2003  

Sorgfreilos III.

Wen stört es,
daß der Tag reißt
Traumschlösser nieder?

Wen kümmert´s,
daß Wellen umspülen
Burgen im Sand?

Jede Nacht
Sternschnuppen
fallen.

Immer bleibt
ein Wunsch
Dir frei.

© ts 2003  

Sehnsucht

Wie könnte ich meinen Hunger
als Hunger erkennen,
ohne je von der Erde
Nahrung empfangen zu haben?

Wie könnte ich meinen Durst
bei seinem Namen wohl nennen,
ohne je von den Wassern
getränkt worden zu sein?

Hätte ich niemals das Strahlen
der Sonne, ihre Wärme erfahren,
ich wäre kein Mensch –
ich wäre ein Stein.

Sehnsucht.

Einst trug mich der Wind
in seinem Atem.
Als ich herniederkam,
mußte ich erst einmal schreien.

© ts 2003  

Gedicht IV.

Ich bin schwach.
Ich schaffe es nicht,
dieser Welt hier
zu fliehen.

Meine Kräfte –
sie reichen nicht aus,
um jene Tür dort
mehr als nur einen kleinen,
ganz kleinen Spalt weit
aufzustoßen.

Doch immer, wenn ich
einen Blick werfe
mit meinem Herzen
durch diesen hindurch,
schenkt meine Seele mir
Zeilen.

© ts 2003  

Gottesacker

Meine Vorväter bestellten
die Felder des Herrn,
um zu ernten ganz golden.

Wir konnten über die Zeiten
ihre Träume nicht wahren.

Ich – der Generationen
letzte Blüte – sehe alles Leben
von uns fallen.

Meine Lieder hegen und
pflegen bloß noch
unser aller letzte Ruhestätte,

das ewige Feld.

© ts 2003 

Träumen will

Wer träumen will
muß seine Phantasie
mit Feuer nähren

Muß im Boden
wurzeln
fest
und lauschen
können
still
den Stimmen
seines Blutes

Wer träumen will
muß Sterne
atmen

© ts 2003  

Auf immer

Jede Frau, die ich liebte,
warst Du. Jeder Engel,
der mir ins Gesicht sah,
trug Deine Züge.

Das weinende Kind in mir
stets stilltest Du.
Ich vermag zu zählen
die Nächte nicht mehr,
in denen Du spieltest
mit mir all diese verbotenen
Spiele.

Jede Sonne, die morgens
aufgeht, trägt Dein Lachen.
Jeder Stern, der abends fällt,
läßt wünschen mich nur eines.

Das trotzige Kind in mir
stets führtest Du.
Ich vermag zu erinnern
die Tage nicht mehr,
an denen Wolken
Deine Schönheit
verhüllten.

Jedes Leben, das Du gibst,
ist hingegeben. Jede Liebe,
die Du nimmst, auf immer
Dein.

© ts 2003  

Mittwoch, 31. August 2005

Lieben die Liebe

Und Du und ich wissen,
man braucht vor der Liebe
keine Angst haben.

Wir lieben nicht Menschen.
Wir lieben die Liebe.

Du und ich wissen,
in Nähe vergehen wir,

tut sich der Weltenraum auf,
mondhell,
unbeschreiblich
sternklar.

Du und ich wissen.

Du
und
Ich.

Wir lieben nicht Menschen.
Wir lieben die Liebe.

© ts 2001  

Donnerstag, 18. August 2005

Ein Bekenntnis

Ein Bekenntnis:
Ich lebe nicht gern.
Ich meine:
Eigentlich liebe ich sehr –
das Leben.

Unter Menschen
ich fühl´ mich
so schrecklich allein.
Wenn ich ganz still
mit mir selbst bin,
kann ich das Strahlen
verdunkelter Sonnen
erzwingen.

Mir macht diese Welt Angst.
Alle ächten den Krieg
und doch sehe ich sie
alle Weile lang kämpfen.

Ich lebe nicht gern.
Mitunter sich sämtlich
die Worte verkehren.
In ihren Himmel
wollen meine Träume
nicht einziehen.
Wo ich auch hinseh´ –
überall spiegeln die Augen
mir Sterben.

Mitunter ich weine sehr gern . . .
Doch über ihrer Art Pathos
kann ich nur lachen.

Ein Bekenntnis:
Ich liebe das Leben
und träume so gern.
Und übe mich heimlich
in den Künsten
des Sterbens . . .

Hier gibt es
kein wirkliches Meer –
bloß salzige Wüsten.

Ich lebe so gern.
Ich werd´s nicht bereuen,
von diesem zu scheiden.

Du und ich wissen,
daß es Größeres gibt.

© ts 2003 

Du und ich wissen

Du und ich wissen,
daß es Größeres gibt,
daß bloß ängstliche Herzen
sich verlieren im Kleinen.

Du und ich wissen,
daß Welten über Welten
durch Seine Räume ziehen,
daß an ihren Wänden haften
rauhgefasert
alte Zeiten.

Du und ich wissen,
daß die Liebe
nur in weiten Herzen lebt,
ein frischer Wind
so leicht läßt
Flügel schlagen.

Du und ich
wissen.

© ts 2003